Kogan in Paris 2019
Vorletztes Jahr habe ich bei Tjerk Wigersma eine Radierung von Kogan erstanden. Sie ist mit „Kogan Paris“ signiert. Als ich nun am Planen einer Reise nach Paris war- mit dem Wunsch endlich einmal den Louvre zu besichtigen- kam mir die Idee, diese mit dem Besuch der Pariser Lebensorte von Kogan zu verbinden. Helen Shiner versorgte mich dankendswerterweise mit allen wichtigen Daten. So reiste ich in Paris an- im Gepäck die Adressen der fünf Stationen seiner Aufenthalte in dieser Künstlerstadt.
Am Abend vor dem Kogan-Tag bin ich auf der Ile de Cité, um die verwundete Notre Dame zu sehen. Zufällig lese ich, dass am östlichen Ende der Seine-Insel das Mémorial des Martyrs de la Déportation errichtet wurde. Der Besuch dieses Ortes, der an die Deportierten während der NS-Zeit erinnert, hilft mir, mich für den morgigen Tageinzustimmen. Kogan war am 4.2.1943 in Paris festgenommen, nach Drancy gebracht und am 11.2.1943 von dort nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Am 13.2.1943 wurde er ermordet. Hier finde ich ein Verbindungsstück zu meiner Auschwitz-Reise im November 2015.
Ich wohne in einem kleinen Hotel in der Rue Saint Denis und kann mich zu Fuss auf den Weg machen. Es ist Sonntagmorgen und die Strassen sind noch leer. Der Weg führt mich an die Seine, über die Ile de Cité ans südliche Ufer. Kurz vor dem Jardin de Luxembourg biege ich in die Rue de Tournon ein. Im Haus Nr.7 hat Kogan 1909 und 1911 gewohnt. Es hiess damals Hotel de Senat. Jetzt ist es ein gewöhnliches Wohnhaus. Ich bleibe eine Weile vor dem Haus und auf dem gegenüberliegenden Gehsteig stehen. Bevor ich weiter ziehe, berühre ich den Türgriff und die Türeinfassung.
Mein Weg führt mich nun durch den Jardin de Luxembourg. Ich setze mich auf eine Parkbank und schaue dem Treiben zu. Die Menschen sind an diesem Morgen sportlich aktiv mit Joggen, Tennis, Tai Chi und vielem mehr. Kogan wird wohl oft hier gewesen sein. Welchem Treiben er wohl damals zugeschaut haben mag?
Meine nächste Station ist das ehemalige Hotel du Sport in der Rue Bréa Nr.14. Hier weilte Kogan 1910 und 1925. Der jetzige Name ist Hotel de Bréa. Ich versuche einfach anwesend zu sein. Ich bin nun im Dunstkreis des Café le Dôme, das fast in Sichtweite liegt, und begebe mich dorthin, an den Ort, an dem sich Anfang des 20.Jahrhundert so viele kreative Menschen versammelten. Hier wurde diskutiert und gearbeitet. Im Innenraum sieht es prachtvoll aus. Es hängen einige Fotos aus der damaligen Zeit, aber Kogan ist unter den Künstlern nicht zu finden. Für ihn floss damals hier der Kaffee in Strömen. Ich sitze vor einer kleinen- aber feinen- Pfütze Espresso.
Es folgt der Besuch des Musée Zadkine in der nahe gelegenen Rue d’Assas. Ossip Zadkine war ein Landsmann und Freund von Kogan. Im Unterschied zu ihm ist Zadkine rechtzeitig in die USA emigriert und lebte ab 1947 bis zu seinem Tod wieder in Paris, in dem Haus, in dem sich das Museum befindet. Ein Gesicht in einer in Stein gehauenen Gruppe erinnert mich sehr an ein Werk von Kogan.
Der Friedhof vom Montparnasse liegt auf dem Weg. Das Grab von Zadkine finde ich nicht. Dafür stehe ich plötzlich vor dem Grab von Henri Laurens, das ich an einer seiner Skulpturen erkenne. Laurens gehörte demselben Künstlerkreis an wie Kogan.
Ich entscheide mich auf dem Weg zur nächsten Station von Kogan noch einen Abstecher in das Museum von Antoine Bourdelle zu machen, einem weiteren Zeitgenossen von Kogan. Bourdelle ist so bekannt, dass die Strasse, in der das Museum liegt, nach ihm benannt ist. Ich gehe davon aus, dass bis heute noch keine Rue Moissey Kogan existiert. Bourdelle arbeitete gerne großformatig und bis ins Konkrete aus. Bei seinen Skulpturen ist noch viel Zierat zu sehen- Stoffe, Utensilien, Mimik, Bewegung … Das 19.Jahrhundert lässt grüssen. Ein prächtiges großes Pferd steht im Museumsgarten, kraftvoll und gespannt. Kogans Arbeiten weisen in eine ganz andere Welt.
Von hier ist es ganz nah zur Rue Falguière. Von ihr geht eine kleine Sackgasse ab in die Cité Falguière, eine ehemalige Künstlerkolonie. In deren Nr. 14 wohnte und arbeitete Kogan in seinen letzten Lebensjahren. Vielleicht ist das der Entstehungsort der Radierung, die ich von Kogan besitze. An Stelle des alten Hauses steht nun ein modernes Wohnhaus am Ende der Gasse. Die Nr. 9 und Nr.11 sind noch original und strahlen weiterhin eine lebendige Künstleratelierstimmung aus. Ich setze mich auf eine Mauer und schaue die Gasse hinunter in Richtung der Einmündung in die Rue Falguière. Da ging er entlang- mein „Meister“. Am 4.2.1943 machte er sich auf und kehrte nie mehr zurück.
Nun nehme ich doch die Metro und fahre zwei Stationen weiter in den Süden, um als letzte Station auf meinem Kogan-Weg die 2 Passage de Dantzig zu besuchen. In dieser Künstlerkolonie, die La Ruche genannt wurde, hat Kogan 1908 und 1912 gelebt und gearbeitet. Es scheint hier noch alles so zu sein wie damals. Die Gebäude und der verwunschene Vorgarten wirken einladend. Aber leider bin ich nur Zaungast. Auf der Tafel, die am Eingang angebracht wurde stehen viele Namen von Künstlern, die hier tätig waren- Moissey Kogan aber ist nicht erwähnt.
Es gibt noch eine letzte, weiter südlich gelegene Station, die 18 Rue du Moulin de Beurre, in der Kogan 1913 gewohnt hat, aber ich konnte sie im Stadtplan nicht eindeutig bestimmen. Ich bin außerdem müde vom Laufen und vom Aufnehmen der vielen Eindrücke. Ich entscheide mich mit der Metro zurück zu fahren. Dann mache ich aber doch noch einen Zwischenhalt für einen kurzen Besuch im Musé Rodin. Hier geht es mir ähnlich wie im Museum von Bourdelle. Ausdruck, Kraft und Bewegung der Skulpturen sind beeindruckend, auch der Prunk, in dem Rodin gelebt hat, aber es strahlt etwas Altmodisches, Gestriges aus. Wie rein, klar und liebevoll sind dagegen die eher unscheinbaren, zeitlosen Skulpturen von Kogan. Und wie zurückgezogen und ärmlich lebte ihr Schöpfer zeitgleich mit diesem anerkannten und gut bezahlten Meister der Bildhauerei. Zwei sehr konträre Welten.
Mit welchen Worten kann man den Bericht eines solchen besonderen Tages abschliessen? Lieber Moissey Kogan, ich bin Dir sehr dankbar für den erlebnisreichen Weg, den Du mir heute bereitet hast!