Kogan in Berlin 2022
Vor 100 Jahren, im Oktober 1922, fand in Berlin die erste Einzelausstellung von Moissey Kogan in der von Alfred Flechtheim neu eröffneten Galerie (Lützowufer 13 am Tiergarten) statt. Kogan lebte damals zeitweise in der Lützowstraße, ganz in der Nähe der Galerie. Der jüdische Galerist Flechtheim hat Kogan bis 1933 gefördert, bis er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten die Galerie verkaufen musste und Deutschland verließ. In dem Artikel von Helen Shiner „Eine von allem Wirklichen abstrahierende Vorstellungskraft, auf den Spuren der Plastik von Moissey Kogan in der Galerie Flechtheim“ in dem Buch „Sprung in den Raum, Skulpturen bei Alfred Flechtheim“ im Nimbus Verlag wird die fruchtbare Zusammenarbeit von Künstler und Galerist sehr schön beschrieben.
Ich beginne meine Spurensuche vom S-Bahnhof Tiergarten aus. Zu Fuss geht es durch Parkanlagen und wenig belebte Straßen am Landwehrkanal entlang. Es ist kalt, aber die Sonne wärmt mir das Gesicht. Ich finde den Weg zum Lützowplatz, an dem die Lützowstraße beginnt. Ich bin von der Atmosphäre enttäuscht, da die Häuser der Straße keinen Bezug mehr zu der Zeit von 1922 haben. Wahrscheinlich war hier im Krieg alles zerstört worden. Wenige Minuten später komme ich zum Lützowufer 13, dem Platz, an dem sich die Galerie von Alfred Flechtheim befand. Hier steht nun ein noch nicht ganz fertiggestellter Neubau. Das Haus links daneben sieht nach alter Bausubstanz aus. Hier ist Kogan vor 100 Jahren ein und aus gegangen. Und mit ihm die Größen der Moderne. Ich stelle mich auf die kleine Bogenbrücke des Kanals, von wo ich einen schönen Blick auf das Gebäude habe. Ich stehe im Schein der tiefstehenden Sonne, trinke einen Tee aus der Thermoskanne und versuche mich in die damalige Zeit zu versetzen. Am Ufer gegenüber der Galerie steht eine wunderschöne Kastanie. Mir gefällt dieser Ort.
Mein Weg führt mich weiter in das Zentrum von Berlin, über den Potsdamer Platz, am Denkmal für die ermordeten Juden Europas vorbei- wo ich kurz verweile- zum Brandenburger Tor, und zur Neuen Wache, wo ich die von mir geliebte Pietà von Käthe Kollwitz besuche. Humboldt Forum und Museumsinsel. Die Museen sind schon geschlossen, aber ich will unbedingt die Amazone zu Pferde von Louis Tuallon sehen die im unbeleuchteten Innenhof steht. Beim Hackeschen Markt endet meine Wanderung.
Zwei Tage später treffe ich mich mit Avitall Gerstetter, der Kantorin der jüdischen Gemeinden in Berlin, bzw. war sie dies bis zu ihrer Kündigung im August diesen Jahres. Im Magazin „a tempo“ hatte ich ein interessantes Interview mit ihr gelesen. Da entstand in mir der Impuls, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Ich berichtete ihr per Mail vom Moissey Kogan Projekt und wollte von ihr wissen, was sie davon hält. Ihre herzliche Antwort ließ in mir den Wunsch entstehen, mit ihr persönlich über mein Projekt zu sprechen. Und so freute es mich sehr, als sie mich in das jewish center for arts and culture in Charlottenburg einlud.
Es ist ein kalter Tag, der Wind pfeift mir um die Ohren. Ich bin wie immer zu früh dran. So kann ich mich noch ein wenig umschauen. Das Center befindet sich in einem neuen modernen Komplex am Spreebord. Ich bin überrascht, dass sich in ihm auch die Bildgießerei Hermann Noack befindet, die schon seit 125 Jahre besteht und Bronzen von berühmten Künstlern gegossen hat, so z.B. auch die Amazone auf der Museumsinsel. Ich werde freundlich von Avitall begrüßt und in den Salon geführt. In der knappen Stunde unseres Gesprächs kann ich meine Fragen anbringen. Was macht es mit den heute lebenden Jüdinnen und Juden in Deutschland, wenn von einem Nichtjuden wie mir „unserer“ toten jüdischen Mitbürger, der Opfer des Holocaust, gedacht wird? Welche Kultur, welche Rituale gibt es im jüdischen Glauben im Umgang mit Verstorbenen? Am 12.2.23 werde ich eine Gedenkstunde zum 80.Todestag von Moissey Kogan gestalten. Ich bitte Avitall darum, mir einen Text, ein Gebet zu geben, um dies in die Veranstaltung integrieren zu können. In unserem Gespräch wird mir deutlich, wie kompliziert und belastet das heutige jüdische Leben in Deutschland ist. Avitall wurde gekündigt wegen eines kritischen Artikels über Konvertiten, die das Amt von Rabbinern begleiten. Sie erklärt mir, warum dieses Thema in bezug auf Deutschland aus ihrer Sicht heikel ist. Ich spüre, dass Avitall durch die derzeitige Situation belastet ist. Ich wünsche ihr viel Kraft für ihr Projekt „Salon Avitall“, bei dem es um kulturellen Austausch zwischen den Religionen geht. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch. Beim Gehen schaue ich mir noch die großen Bronzeskulpturen im Innenhof an.
Wird dieser Besuch ein neues Kapitel für das Projekt öffnen und mir eine Verbindung zum heutigen jüdischen Leben ermöglichen? Ich bin gespannt.